Bewertung
Schulradar: Anonyme Vorwürfe gegen Grundschule führen zu Gerichtsverfahren 29.01.2009, 13:03
Auf der Schulbewertungsplattform Schulradar.de steht die Grundschule Ratsmühlendamm im Fokus: an der Schule sei Mobbing an der Tagesordnung, Lehrkräfte würden Kinder misshandeln. Ein satter Gerichtsstreit bahnt sich an. Unabhängig von dessen Ausgang machen die Schulradar-Betreiber dabei keine gute Figur.
Die Betreiber des Lehrerbewertungsportal spickmich starteten im April 2008 das Angebot schulradar.de, wo Eltern die Schulen ihrer Kinder bewerten können (Kriterien u.a.: Individuelle Förderung, Gebäude/Ausstattung, Lehrkräfte, Schulleitung, Schulklima). Die Idee ist grundsätzlich sehr begrüßenswert und könnte die Schulen und Schulträger zu “besseren” Leistungen motivieren.
Leider hat das Betreiberteam nicht aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt: Die Bewertungen können anonym erfolgen, damit ist der Weg (wie auch schon mehrfach auf spickmich geschehen) für potenzielle Schlammschlachten bereitet. Ökonomisch nicht unerfreulich, denn so etwas bringt Presse und Klicks. Moralisch natürlich wirklich schwierig.
Der aktuelle Fall der Grundschule Ratsmühlendamm (Hamburg) entwickelt sich zum Fanal:
Die Schule wurde bisher von 29 Personen bewertet (Stand 29.01.2009). Neben vielen positiven Bewertungen finden sich auch einige ordentliche Hämmer (Auszüge aus den Bewertungen ; in Klammern die Nicknamen der Verfasser/innen):
Es wird mir zu wenig von Lehrergewalt an Schulen gesprochen, von Pädagogen/innen die ihre Macht an Kindern ausleben. (Mimose)
Gewalt, Gewalt ,Gewalt….........!!!!!!!!!!! (janine)
Gewalt und Mobbing sind an der Tagesordnung.Jeder Versuch etwas zu ändern, bringt einem nur Ärger ein. (mister mauz)
es wird gelogen, gemobbt - ich bin sprachlos! von vertrauensvollen Ansprechpartnern kann überhaupt nicht gesprochen werden Frau N. [... von der Lehrerfreund-Redaktion geändert] ist hier als besonderer fall zu bemerken [Anmerkung der Schulradar-Redaktion: Dieser Beitrag wurde entsprechend den Schulradar-Richtlinien redigiert.] (bowie)
schulradar.de, User-Bewertungen der Grundschule Ratsmühlendamm Hamburg
Solche Bewertungen wären höchst aufschlussreich - wenn man davon ausgehen könnte, dass sie zutreffen. Neben vielen positiven Bewertungen (“das lehrerkollegium arbeitet sehr transparent und aktiv im sinne der kinder.” - realist) wehrt sich der Elternrat der Grundschule massiv gegen die Vorwürfe:
Seit einiger Zeit tauchen im Internet anonyme Äußerungen eines begrenzten Personenkreises zur Schule Ratsmühlendamm auf.
Es werden schwere Vorwürfe erhoben, wie z.B. dass Kinder misshandelt würden, in der Schule Mobbing an der Tagesordnung wäre usw.
Der Elternrat sieht diese Vorwürfe als unsachlich und absolut haltlos an.
Es besteht ein enger Kontakt zwischen Schülern, Eltern und Lehrkräften.
Regelmäßige Treffen sind Ausdruck für eine Kultur des Miteinanders. Wir möchten vor allem das überaus große Engagement der Lehrer hervorheben, diese Schule weiterzuentwickeln.
[...]
Wenn es zu Unstimmigkeiten oder Meinungsverschiedenheiten kommt, so werden diese in konstruktiven Gesprächen mit Klassenelternvertretern, Lehrkräften oder der Schulleitung geklärt.
Der Elternrat fordert deshalb die anonymen Autoren auf, die Kampagne gegen die Schule zu beenden und sich mit ihren Anliegen und der Kritik offen an den Elternrat zu wenden.
Inzwischen ist auch das deutsche Rechtswesen mit dem Fall befasst: Gegen vier Lehrer/innen wird wegen Verdacht auf Körperverletzung im Amt ermittelt, gegen weitere Lehrer/innen wurde beim Schulamt Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. So klar liegt der Fall jedoch offensichtlich nicht:
Diese sollen jedoch eingestellt worden sein, da kein Fehlverhalten vorliege [...] Die Schulbehörde will allerdings die anonym geäußerte Kritik gerichtlich unterbinden lassen und hat “Schulradar.de” verklagt.
Die Spickmich-Betreiber bleiben entspannt, sie sind den Gang zum Gericht gewohnt. Schon mehrfach sind auf Spickmich schlecht bewertete Lehrer/innen vor Gericht gezogen, jedes Mal wurden die Klagen mit der Begründung “Recht auf freie Meinungsäußerung” abgewiesen.
Diesmal liegt der Fall anders. Eine ganze Schule und ihre Mitarbeiter leiden unter massiver Rufschädigung (und angesichts der Stellungnahme des Elternrats ist davon auszugehen, dass die Anschuldigungen der anonymen “Eltern” zu weiten Teilen aus der Luft gegriffen sind). Ob die aggressiven Bewertungen nun von hypersensiblen Eltern, von namenlosen Schülern oder von Spickmich-Opfern stammen, die sich an den Betreibern rächen wollen: Es ist erstaunlich, dass das Spickmich-Schulradar-Team unkooperativ reagiert und sich wahrscheinlich angesichts der zu erwartenden PR ins Fäustchen lacht. Von jemandem, der die Welt besser machen will, sollte man erwarten können, im Zweifel für den Angeklagten zu sein und entsprechend die anrüchigen Bewertungen zu löschen.
Der Betreiber des Kölner Internetportals sieht dem Verfahren, das in der kommenden Woche vor dem Hamburger Landgericht stattfindet, gelassen entgegen: Die Bewertungen seien durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.
Vielleicht geht es ihnen tatsächlich weniger um die Wahrheitsfindung als um den eigenen Erfolg. Das macht das Portal unglaubwürdig - und damit überflüssig.