Die Schulverweigerer
Ungezügelte Lehrerblogs 2010 - Platz 2: Thousand Sunny’s Weblog 02.02.2011, 17:42
In der Reihe "Ungezügelte Lehrerblogs" stellen wir die ungezügeltsten Bildungsblogs 2010 vor, die etwas anders, etwas radikaler, etwas emotionaler sind als andere - und gerade deshalb für Lehrer/innen interessant sein dürften. Platz 2: Thousand Sunny's Weblog: Die unendliche Geschichte einer Familie, die sich erbittert der deutschen Schulpflicht verweigert und sich aktuell auf der Flucht in Frankreich befindet.
Reihe “Ungezügelte Lehrerblogs 2010”
Interessante Blogs für Lehrer/innen gibt es viele (70er-Auswahl hier). Die meisten Blogger/innen berichten von ihren Erlebnissen in Schule und Alltag und/oder konzentrieren sich auf fachliche Schwerpunkte. Viele verlinken/kommentieren sich gegenseitig und bilden so eine interessante, kompetente Community.
Am Rande diese Community existieren einige Blogs, die “man” zwar kennt, die aber nicht zum Mainstream gehören. Das sind die “Ungezügelten Lehrerblogs 2010”.
Unter der Adresse freiebildung.wordpress.com ist das Blog Thousand Sunny’s Weblog zu lesen. Betrieben wird es anonym vom Vater (1000sunny) einer Familie, die sich zusammensetzt aus dem Vater 1000sunny, Mummy1000Sunny und den Kindern Chopper (m), Nami (w) und Sanji (m) (alle noch nicht schulpflichtig). Zentrales Thema ist der Widerstand gegen die Schulpflicht - 1000sunny hält die in Deutschland existierende Schulpflicht für einen perversen Zwang. Er glaubt daran, dass Kinder am liebsten und besten freiwillig lernen (mehr: »Die Schulpflicht ist nicht rechtsstaatlich« - Interview mit einer Unschooler-Familie (Lehrerfreund)).
1000sunny meint es ernst. Die Kinder sind noch nicht schulpflichtig, und 1000sunny hat in keiner Weise vor, sich der Schulpflicht zu ergeben. Deshalb hat sich die Familie im September 2009 mit einem Wohnwagen auf den Weg nach Frankreich gemacht, um dem gehassten Zwang zu entfliehen. Den Winter hat die Familie glücklich im Wohnwagen auf einem Campingplatz verbracht. Anfang 2011 machte der Bürgermeister Druck; die 1000sunnys mussten daraufhin wieder in eine richtige Wohnung ziehen:
Mir geht es irgendwie total schlecht, wir (die beiden Erwachsenen) haben den Wohnwagen so lieb gewonnen, dass es jetzt so seltsam erscheint sich wieder in 4 Mauern einzuzementieren. Nicht mehr einfach weiterfahren können und einfach frei sein. Draußen sein, am Strand.
Das Leben der Familie ist - gemessen an den hiesigen pädagogischen Gepflogenheiten - außerordentlich unorthodox: Die Kinder gehen ins Bett, wann sie wollen, sie lernen, wann und was sie wollen. Der Vater wettert über die spießigen Nachbarn, die ihre Kinder in die Schule schicken, während die Mutter eine Diplomarbeit schreibt. Woher das Geld zum Leben kommt, weiß man nicht genau. Die Familie ist vor der deutschen Polizei geflohen, die irgendwann auftauchen wird, wenn die Kinder nicht in die Schule geschickt werden.
Warum 1000sunny Lehrer/innen inspiriert
Wenn wir Blogs von Lehrer/innen lesen, dann erfahren wir viel über Schule und Unterricht und Pädagogik und Lehrer/innen und Schüler/innen. In vielen Blogs von Lehrer/innen werden spezifische Ausprägungen des Schulsystems scharf (und oft: zu Recht) kritisiert; in den Kommentaren diskutiert man darüber, wie man Unterricht verbessern kann.
Alle haben dabei eines gemeinsam: Sie akzeptieren das kulturell und institutionell vorgegebenen Muster, nach dem Lernen und Erziehung abläuft. Schule, Leistungsmessung, Bildungspläne, Noten, schulische Sozialisation - das alles sind Konzepte, die trotz offensichtlicher Mängel im System keine/r grundsätzlich in Frage stellt.
Kein/e einzige/r der bloggenden Lehrer/innen stellt sich auch nur im Ansatz die Frage, ob Lernen vielleicht ganz anders funktioniert oder funktionieren kann, als wir es gewohnt sind. Für Lehrer/innen sind “Projektarbeit”, “Freiarbeit” & Co offene, individualisierte, moderne Arbeitsformen. 1000sunny lacht sich einen Ast, wenn er das hört.
Natürlich ist das Blog “Thousand Sunny” nicht wirklich gesellschaftsfähig. Das Blog strotzt vor kompromisslosen Thesen und radikalen Theorien. Was 1000sunny da erzählt, klingt völlig visionär, utopisch, oft auch ziemlich daneben. Wo die Wahrheit liegt, kann keiner wissen; ob 1000sunny sie gefunden hat, wird von Vielen bezweifelt. Dennoch: Die 1000sunny-Familie lebt einen Gegenentwurf zu einer Welt aus stickigen Klassenzimmern, 45-Minuten-Gongs und sinnlosen Bildungsplanvorgaben. In einer solchen Welt bewegen sich die meisten Lehrer/innen zwangsläufig jahrzehntelang.
Thousand Sunny’s Weblog ist kein Lehrerblog - eher im Gegenteil. Eine Reality-Saga mit großen Emotionen, kompromisslosen Entscheidungen und offenem Ende. Wer als Lehrer/in manchmal nicht nur über den Tellerrand blicken, sondern vom Tisch springen und das Haus von außen betrachten möchte, der wird bei 1000sunny fündig. Als alternativloses Angebot der Lehrerfreund-Platz 2 unter den Ungezügelten Lehrerblogs 2010.