Neuer Urheberrechtsvertrag mit Schulbuchverlagen
Endlich: Lehrer/innen dürfen Unterrichtsmaterialien einscannen 07.12.2012, 13:20
Der große Hammer zu Nikolaus 2012: Lehrer/innen dürfen ab sofort Unterrichtsmaterialien digitalisieren (d.h. auch: einscannen) und so für den Unterricht verwenden. Die Scans dürfen auch gespeichert werden. Das ist der Kniefall der Kultusministerien und Schulbuchverlage vor der durch den Schultrojaner aufgebrachten Öffentlichkeit.
Der Verband Bildungsmedien e.V. vertritt u.a. die großen Schulbuchverlage und versucht deren Rechte zu wahren. Dazu werden Deals mit den Kultusministerien und den Verwertungsgesellschaften (VG Wort, VG Musikedition, VG Bild-Kunst) abgeschlossen. Die peinliche Aktion um den Schultrojaner ist uns allen noch in Erinnerung: Schulbuchverlage und Kultusministerien wollten die Rechner an Schulen nach illegalen "Digitalisaten" ausspionieren; Schulleitungen mussten bei ihren Schulämtern Erklärungen abgeben, dass keine "Digitalisate" auf den Schulrechnern vorlägen - kurz: Es war eine Schikane sondergleichen. Die Öffentlichkeit kotzchte, und schon nach wenigen Wochen knickten die Verantwortlichen unter dem Druck der Öffentlichkeit ein und verschoben den Start des Schultrojaners "bis auf Weiteres", man wolle gemeinsam mit den Schulbuchverlagen nach neuen Lösungen suchen (Lehrerfreund: Kommt der Schultrojaner - oder nicht?).
Besonders unzeitgemäß war bisher die Regelung, dass keine Unterrichtsmaterialien digitalisiert werden durften. Wer also aus einem Schulbuch ein Bildchen zur Verwendung auf einem Arbeitsblatt einscannte, machte sich strafbar. Selbstredend war es auch strengstens verboten, Unterrichtsmaterialien den Schüler/innen in digitaler Form zur Verfügung zu stellen (z.B. über eine Lehr-Lernplattform wie Moodle).
Ergänzung 03.01.2013: Tatsächlich dürfen die Materialien aber nicht über LMS wie Moodle verteilt werden. Mehr zu diesem Skandal: Moodle-Verbot für eingescannte Unterrichtsmaterialien.
Nun kommt aus dem Nichts eine Ankündigung, mit der keiner gerechnet hat. Die Schulbuchverlage und die Kultusminister/innen haben eine absolut erfreuliche Abmachung getroffen:
Die Lehrkräfte an Schulen in Deutschland dürfen künftig urheberrechtlich geschützte Inhalte aus Büchern und Unterrichtswerken auch digital vervielfältigen und den Schülerinnen und Schülern im Unterricht zugänglich machen. Darauf einigten sich die Kultusministerien der Länder mit dem Verband Bildungsmedien sowie den Verwertungsgesellschaften VG WORT, VG Bild-Kunst und VG Musikedition.
Künftig dürfen 10 Prozent eines Druckwerks (maximal 20 Seiten) von Lehrkräften für die Veranschaulichung des eigenen Unterrichts eingescannt, auf Speichermedien wie USB-Sticks abgespeichert und über Träger wie Whiteboards den Schülerinnen und Schülern zugänglich gemacht werden. Bisher war dies nur analog, also von Papier auf Papier erlaubt. „Ein Meilenstein in der Unterrichtsentwicklung und eine erhebliche Erleichterung der pädagogischen Arbeit unserer Lehrerinnen und Lehrer“, so die Verhandlungsführer der Länder, Ministerialdirektor Dr. Peter Müller (Bayern) und Staatssekretärin Andrea Becker (Saarland). [...]
Die heute auch von der Kultusministerkonferenz bestätigte neue Vereinbarung umfasst einfache und praktikable Regelungen:
Die Lehrkräfte können von Printmedien, auch Unterrichtswerken, die ab 2005 erschienen sind, bis zu 10 % (maximal 20 Seiten) einscannen.
- Lehrerinnen und Lehrer können diese digitalisierten Materialien ebenfalls für den eigenen Unterrichtsgebrauch vervielfältigen und an ihre Schüler weitergeben, auch zur Unterrichtsvor- und -nachbereitung.
- Die eingescannten Materialien können zudem für die Schülerinnen und Schüler ausgedruckt werden und außerdem im Unterricht über PCs, Whiteboards und/oder Beamer wiedergegeben werden.
- Die Lehrerinnen und Lehrer können die Scans zudem im jeweils erforderlichen Umfang auch auf ihren Speichermedien ablegen (z.B. PC, Whiteboard, iPad, Laptop, etc.). Dies umfasst auch die Speicherung auf einem für die individuelle Lehrkraft geschützten Bereich auf dem Schulserver.
- Die Parteien werden rechtzeitig vor den Verhandlungen über eine Anschlussvereinbarung eine repräsentative Erhebung über die analogen und digitalen Nutzungen in den Schulen durchführen.
"Schulen weiter auf dem Weg ins digitale Zeitalter" - Rechtssicherheit beim digitalen Vervielfältigen durch neue Vereinbarung. Verband Bildungsmedien, Pressemitteilung 06.12.2012 (Hervorhebungen vom Lehrerfreund)
Das Kultusministerium Bayern ergänzt noch, damit keine Missverständnisse entstehen: "Die ehemals von den Verlagen vorgesehenen Kontrollen sind endgültig vom Tisch." (KM Bayern, Pressemitteilung 06.12.2012). Nett, wie das bayerische Kultusministerium den Schulbuchverlagen den Schwarzen Peter zuschiebt, oder? In Zeiten des allgemeinen Lehrermangels kann ein bisschen Schleimen beim pädagogischen Personal ja nie schaden.
Bei aller Euphorie: Das ist eine Regelung, die sowieso überfällig war. Dass die Vereinbarung aber tatsächlich getroffen wurde, war so nicht zu erwarten - zu oft haben in letzter Zeit Schulbuchverlage und Kultusministerien durch überaus unzeitgemäße Vorstellungen Schlagzeilen gemacht. Ganz sicher hat die Welle der Empörung in der Öffentlichkeit zur aktuellen Entwicklung beigetragen. Da sage noch einer, die Bloggerei der Lehrer/innen hätte nur therapeutischen Nutzen!
Nicht ganz humorlos wurde die Öffentlichkeit am 06.06.2012 über die Neuregelung informiert - ein Nikolausgeschenk für die geknechteten Lehrer/innen, die nun endlich ihre blöden Scheren und Klebestifte weglegen können. Danke, lieber Kultusministernikolaus!
Aber übertreiben wir es nicht mit der Dankbarkeit: Natürlich wäre es viel sinnvoller, die 9 Millionen Euro jährlich, die von den Kultusministerien für die Erlaubnis zum Scannen und Kopieren gezahlt werden, in die Entwicklung von OER-Materialien zu stecken, wie hier schön dargelegt wird. Mit einem Volumen von drei Jahresbeträgen könnte man übrigens sämtiche Fächer der Sekundarstufe I mit freien Materialien versorgen (Vergleichszahlen hier: OER: Polen setzt auf freie Bildungsmaterialien). Aber jetzt sind wir erst einmal froh, dass wir überhaupt scannen dürfen. Für freie Bildungsmaterialien sind die Regierenden wirklich noch nicht weit genug.