Mehrere Durchgänge beim Korrigieren
Korrekturstrategie: »Jede Klassenarbeit nur einmal anfassen« 31.08.2022, 21:26
Ein zentraler Trick, um die Geschwindigkeit des Korrigierens massiv zu erhöhen: Fassen Sie jede Klassenarbeit nur ein einziges Mal an. Keine getrennten Durchgänge nach Aufgaben, nach Sprache vs. Inhalt und wenig direkte Vergleiche einzelner Klausuren. Voraussetzung ist ein granularer, steinharter Erwartungshorizont und eine gesunde Distanz zum Konzept der Notengebung. Dann klappt diese Strategie in 8 von 10 Fällen.
Warum mehrfache Korrekturdurchgänge unverhältnismäßig viel Zeit kosten
Zu den großen Zeitkillern beim Korrigieren gehört das mehrfache Anfassen von Arbeiten.
A) Handling / mechanische Vorgänge (z.B. Heftwechsel)
Sie legen ein bereits bearbeitetes Heft/Klassenarbeit weg, nehmen ein neues zur Hand, schlagen es auf, suchen vielleicht eine bestimmte Aufgabe/Stelle. Manchmal fällt der ganze Stapel runter, der Rotstift rutscht unter ein Blatt oder Sie streichen einen Knick glatt. Pro Arbeit dauert das alles im Schnitt leicht mal 30 Sekunden, bei einem ganzen Klassensatz sind es 15 Minuten. Das ist besonders ineffizient, wenn es sich um schnell zu korrigierende Klassenarbeiten handelt (z.B. Vokabeltests): Die reine Korrekturzeit beträgt 60 Minuten, alleine der mechanische Heftwechsel bei Doppelkorrekturen erhöht die Korrekturzeit um 15 bis 20 Prozent!
Oft wird nicht systematisch der ganze Klassensatz in mehreren Durchgängen korrigiert, sondern man sucht eine Klassenarbeit mit ähnlichem Leistungsniveau wie die aktuelle zum Vergleich. Diese Klassenarbeit zu finden, aufzuschlagen … kostet Sie eine Minute. Machen Sie das zwanzig Mal, und Sie haben die Zeit verloren, in der Sie ein bis zwei Klassenarbeiten komplett hätten korrigieren können!
B) Kognitive Orientierung
Oft müssen Sie sich inhaltlich neu orientieren, wenn Sie eine Klassenarbeit zur Hand nehmen. Das gilt vor allem für komplexere Arbeiten (längere Texte wie Deutschaufsätze/Geschichtsarbeiten, komplexe Rechenwege …). 30 Mal nehmen Sie neu Anlauf, denken sich in eine neue Situation hinein - das kostet Zeit und Kraft.
C) Prokrastinativer Aspekt
Jedes Mal, wenn Sie eine Klassenarbeit zur Seite legen und eine neue zur Hand nehmen, verlieren Sie den Flow und ihre Konzentration auf inhaltliche Aspekte sackt kurzzeitig ab. Und bei jeder Klassenarbeit, die Sie weglegen oder zur Hand nehmen, lockt die Versuchung der Prokrastination: einen Kaffee holen, kurz einkaufen gehen …
Beispielrechnung: 30 Deutschaufsätze, Oberstufe
Der rein mechanische Aspekt ("Heftwechsel") kostet Sie eine halbe Stunde, wenn Sie ab und zu einzelne Arbeiten vergleichen. 30 Minuten
Die inhaltliche Neuorientierung für jeden Aufsatz kostet Sie zusammengerechnet mindestens eine halbe Stunde, Energieverschwendung und damit verbundener Konzentrationsabfall nicht mitgerechnet. 30 Minuten
Jede neue Arbeit bedeutet eine neue Möglichkeit für Pausen, Ablenkungen … Wenn Sie nicht unglaublich diszipliniert und hartherzig sich selbst gegenüber sind, verlieren Sie durch zusätzliche Prokrastinationen zwei Stunden. 120 Minuten
Summe: Drei Stunden Zeitverlust, Konzentrationsverlust nicht eingerechnet
Nehmen wir an, die reine Korrekturzeit für den gesamten Klassensatz beträgt 10 Stunden. Durch mehrere Korrekturdurchgänge verlängert sich die Korrekturzeit um völlig sinnlose 30 Prozent!
Im folgenden Diagramm wurde der Konzentrationsverlust pauschal mit 15% der Netto-Korrekturzeit eingerechnet (was zu wenig sein dürfte).
Warum mehrere Korrekturdurchgänge oft unvermeidlich sind
Leider gibt es einige Gründe, warum mehrere Korrekturdurchgänge oft nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig sind.
Vergleichbarkeit
Nachdem Sie eine Aufgabe dreißig Mal korrigiert haben, haben sich Ihre Bewertungskriterien mit ziemlicher Sicherheit verändert. Deshalb nehmen Sie sich, wenn Sie mit der Korrektur fertig sind, noch einmal die ersten Hefte vor und überprüfen Ihr modifiziertes Bewertungsschema. In vielen Fällen müssen Sie die ersten Klassenarbeiten nachkorrigieren. Erst nach einigen nachkorrigierten Arbeiten stellen Sie fest, dass Ihre "neue" Bewertung mit der "alten" einigermaßen übereinstimmt.
Um die Vergleichbarkeit zu erhöhen, neigt die überwiegende Mehrzahl der Lehrer/innen dazu, Klassenarbeiten aufgabenweise zu korrigieren - also von allen Klassenarbeiten nur Aufgabe 1, dann von allen Klassenarbeiten nur Aufgabe 2 usw. Der potenzielle Zeitverlust bei diesem Vorgehen ist immens, was die oben genannten Punkte A und C (Handling, Prokrastination) betrifft. Allerdings wird bei Punkt B (kognitive Orientierung) viel Zeit und Energie gespart, da man sich nicht bei jeder Klassenarbeit neu eindenken muss.
Kognitive Belastung
Beispiel aus dem Fach Deutsch: Eine Klassenarbeit setzt sich zusammen aus einer Aufgabe zur Inhaltswiedergabe, eine Einordnung in den Kontext, eine Interpretationsaufgabe. Oder im Fach Informatik: eine Aufgabe zur Modellierung, zur programmiertechnischen Umsetzung und zur Datenbankanbindung.
Wenn Sie eine Klassenarbeit komplett durchkorrigieren, müssen Sie also drei thematisch unterschiedliche Bereiche bewerten. Dies ist in hohem Maße anstrengend, was sich in erhöhter Prokrastination niederschlägt und außerdem dazu führt, dass Ihr Bewertungsschema schwankt. Nachdem Sie sich eine halbe Stunde mit kontextueller Einordnung und Interpretationen befasst haben, hat Ihr Gehirn die Bewertungskriterien für die Inhaltswiedergabe bereits völlig verdrängt.
Das Thema "kognitive Belastung" betrifft vor allem auch Fächer, in denen sprachliche/formale und inhaltliche Bewertung unterschieden wird. Die Konzentration auf inhaltliche Aspekte wird stark erschwert durch die parallele Korrektur sprachlicher Aspekte. Deshalb bevorzugen viele Lehrer/innen getrennte Durchgänge nach Sprache und Inhalt, wodurch natürlich wieder unnötiger mechanisch-prokrastinativer Aufwand entsteht.
Wie Sie mehrfache Korrekturdurchgänge vermeiden können
Steinharter Erwartungshorizont
Je klarer und detaillierter Ihre Bewertungskriterien sind, desto einfacher und objektiver wird die Korrektur. Sie brauchen eine deutliche Vorstellung davon, welche Leistung Sie von den Schüler/innen erwarten und wie Sie diese Leistung bewerten. Einen solchen Erwartungshorizont legen Sie entweder vor der Korrektur fest. Häufige Praxis ist es auch, diesen Erwartungshorizont unter Zuhilfenahme von drei Klassenarbeiten aus unterschiedlichen Leistungsniveaus zu entwickeln.
Man sollte darauf achten, dass die Arbeit am Erwartungshorizont nicht eskaliert. Betrachten Sie das "Elektronische Bewertungsraster" des Berliner Kultusministeriums, wo Sie sich für zahlreiche Fächer (Deutsch, Musik, Kunst, Sport, Geografie, Geschichte, Politik, Englisch, Französisch, Latein, Mathematik, Physik, Biologie, Chemie, Informatik …) online ein Klausurgutachten erstellen können: Sie klicken sich durch eine differenzierte Bewertungsmatrix und erhalten ein Gutachten in Textform. Möglicherweise hätten Sie ein persönliches Gutachten zur Arbeit jedoch schneller geschrieben. Als sehr durchdachte, differenzierte Vorlage für viele Fälle kann das Angebot jedoch dienen: klausurgutachten.de
Granulare Bewertungskriterien
Je granularer die Bewertungskriterien sind, desto einfacher und schneller geht die Korrektur von der Hand. Das bedeutet: Viele kleine, eigenständige Aufgaben(-teile) mit jeweils wenig Verrechnungspunkten korrigieren sich besser (objektiver, schneller, entspannter …) als wenige umfangreiche.
Bei vielen Themen und/oder Anspruchsniveaus lässt sich eine solche Unterteilung in der Aufgabenstellung nicht realisieren (bestes Beispiel: Deutschaufsätze). In solchen Fällen sollten Sie versuchen, den Erwartungshorizont möglichst granular zu gestalten. Statt
(1) Die Schüler/innen können eine Inhaltsangabe verfassen.
bewerten Sie die einzelnen Aspekte, z.B.
(1) Präsens
(2) sachlicher Stil
usw. (zur Inhaltsangabe mögliche Kriterienvorschläge hier: Feedbacktabelle zur Inhaltsangabe).
Der ultimative Trick liegt darin, auch bei komplexeren Aufgabenstellungen die einzelnen Leistungsanforderungen zu operationalisieren. Ganz lesenswert hierzu: Korrektur von Deutscharbeiten wird mit Excel leichter
Vertrauen in die eigene Bewertungskompetenz
Wenn Sie schon ein paar Klausuren in Ihrem Fach korrigiert haben, dann haben Sie eine Intuition entwickelt, auf die Sie sich verlassen können. Geben Sie einem Religionslehrer die 8-seitige Religionsklausur einer Schüler/in. Er soll das durchlesen und eine Note schätzen. Wenn dieser Religionslehrer sich stundenlang hinsetzt und die Arbeit in mehreren Durchgängen korrigiert, wird die Note wahrscheinlich nur geringfügig von seinem ersten Eindruck abweichen.
Das bedeutet nicht, dass Sie beim Korrigieren schlampen sollen. Aber wenn Sie an einem Klassensatz Deutschklausuren 40 Stunden sitzen, sollten Sie sich überlegen, ob Sie nicht schon in 15 Stunden zum gleichen Ergebnis kommen könnten.
Mehr dazu bei der Zeit sparenden IGAMI-Strategie ("Ich glaube an meine Intuition").
Distanz zum Konzept Notengebung
Bekanntermaßen ist Notengebung niemals objektiv. Wenn am Ende des Schuljahres eine Schüler/in schriftlich auf 3,5 steht, könnte das genau so gut 3,6 oder 3,4 bedeuten. Sind Ihre Leistungsüberprüfungen so perfekt gestaltet, dass sich darin Unterschiede im Prozentbereich messen lassen könnten? Natürlich sind sie das nicht, und Ihre Korrekturobjektivität erst recht nicht. Und dabei ist die Frage, ob Noten überhaupt objektiv sein können, noch nicht mal berührt.
Also entspannen Sie sich. Sie werden - nicht einmal in Multiple-Choice-Kontexten - niemals eine wirklich objektive Note hinkorrigieren. Was Ihre Zensuren abbilden, sind Tendenzen. Wenn Ihre Korrektur diese Tendenzen möglichst realistisch abbildet, genügt das. Allerdings müssen Sie am Schuljahresende auch die Größe besitzen, aus einer 3,6 noch eine 3 zu machen, ohne dass Ihnen dabei ein Zacken aus dem Kiefer bricht. Siehe hierzu auch: 4 = 5: Zeugnisnote darf vom rechnerischen Mittel abweichen
Fazit: Genügt ein Korrekturdurchgang?
Es wird Situationen geben, in denen Sie mit einem einzigen Durchgang nicht auskommen werden. Wann Sie es mit nur einem Durchgang schaffen, müssen Sie selbst entscheiden.
Viele Lehrer/innen bevorzugen einen Mittelweg, indem sie sich zwar grundsätzlich auf einen Durchgang beschränken, ganz zum Schluss aber nochmal kontrollierend alle Arbeiten grob(!) durchschauen.
Tatsache ist, dass Sie in den allermeisten Fällen mit einem Durchgang auskommen können - wenn Sie es richtig (= s.o.) machen. Oft ist das Multitasking beim Korrigieren (z.B.: Sprache + Inhalt in einem Durchgang korrigieren) lediglich eine Frage der Übung. Was bei der ersten Klausur völlig unmöglich scheint, flutscht bei der zehnten bereits ganz gut.